Ich war fast mein ganzes Leben lang
übergewichtig. Fettleibig. Der Lieblingsbegriff meiner Ärzte.
Wie es begann, ist auch jetzt noch,
nachdem ich mir tausend Gedanken gemacht habe, schwer zu erklären.
Die einzige Erklärung, die ich habe, ist, dass ich meinem gestörten
Elternhaus nach einer Flucht gesucht habe. Und ich fand sie im Essen.
Essen ist toll. Leckere Dinge zu essen,
macht einen glücklich. Ich fühle mich gut, wenn voll bin.
Weiter als so, habe ich nie gedacht.
Obwohl das Mobbing schon in der
Grundschule begann (im Sportunterricht der ersten Klasse, wo meine
Mutter mir einen unvorteilhaften engen pinken Sportbody mit Shorts
aufgenötigt hat) und sich hinzog, bis noch... ja bis noch ins
Erwachsenenalter, hab ich lange gebraucht, um zu verstehen, was ich
ändern muss. Ich hatte Angst, etwas zu verlieren, was mir immer
Schutz geboten hat.
Und ich sagte immer zu jedem "Ja
klar, wenn Dezember 2012 die Welt nicht untergeht, dann fang ich
an.." Aber wirklich dran gegelaubt hab ich nie.
Und dann, an Weihnachten 2011, als wir
Familienfotos machten und ich mein dickes Mondgesicht mit dem
ernormen Doppelkinn gesehen hab und auf dem Höchstgewicht mit
136,0kg war- da hat es endlich Klick gemacht. Ich konnte so nicht
mehr leben.
Man denkt, Mobbing ist etwas, was sich
nur in der Schule abspielt. Aber mit so einem Gewicht wird man
überall gemobbt. Freche Gören und prollige Jugendliche gucken einen
angewidert an, verbergen nicht, was sie denken, oder schreien es
einem so laut ins Gesicht, dass andere Passanten sich umdrehen. Oh
ja. Ich hab vieles erlebt. Es war erniedrigend und hat mich immer
weiter in die Depression getrieben.
Ich hab mich gehasst und fühlte mich
zu schwach, um etwas daran ändern zu können. Wenn man erst einmal
in dieser Spirale aus Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit gefangen
ist, dann ist es schwer da raus zu kommen. Zur Hölle, an manchen
Tagen konnte ich nicht einmal aus dem Bett kommen, weil ich 0%
Motivation hatte.
Ich war ein sehr unglückliches
Mädchen, egal, wie viel ich gelacht habe.
Und eines Tages, kurz vor Silvester,
sagte ich mir: Jetzt ändere ich was.
Ganz ehrlich... ich dachte nicht, dass
ich weit komme. Ich habe viele Diäten ausprobiert. Nach vielen,
hatte ich durch Fressattacken und dem allseits bekannten Jojo-Effekt
alles wieder drauf, manchmal sogar noch mehr.
Natürlich war ich immer fasziniert von
wunderschönen dünnen Mädchen mit Stöckchenbeinen und flachen
Körpern, wo man die Rippen sieht, wenn sie sich strecken. Ich wollte
immer so sein. Schön. Anmutig. Leicht. Aber ich dachte, ich wäre
gefangen. Für immer gefangen in diesem Käfig aus Fett.
(Gut, dass bin ich noch immer, aber
dazu später mehr).
Meine Faszination führte mich
natürlich zu dem Thema Anorexie und Essstörungen im Allgemeinen.
Mich damit zu befassen wurde für mich zu einer kleinen Obsession
(und ist sie noch immer). Ich lese und schaue alles darüber, was ich
finden kann. Warum? Ein winziger Teil in mir wünscht sich, lieber
anorektisch und dünn, wennauch krank, zu sein, als fett. Es gibt
einfach nichts schlimmeres, als fett zu sein.
Ich will hier aber klar ausdrücken,
dass ich nicht vorhabe, in irgendeine Krankheit zu rutschen. Durch
meine Beschäftigung mit diesen Themen (insbesondere Anorexie und
Bulimie) bin ich mir auch bewusst darüber, was diese Krankheiten für
den Körper bedeuten.
Wie auch immer. Was mich an
Autobiographien von magersüchtigen Mädchen fasziniert, ist die
Disziplin, die sie an den Tag legen. Das stark sein. Trotz aller
Qualen. Ich weiß ganz genau, dass mich das nicht faszinieren sollte.
Aber ich, als immer willensschwache Person brauche das als
Motivation. Diese Gedanken helfen mir selbst, auch diszipliniert zu
sein.
Früher hab ich am Tag 2500 bis 3000
kcal täglich zu mir genommen. Das fing schon an mit 4 Toast (die
großen Sandwich Toasts) mit Käse und Mayo, Chips, dann fettiges
Mittagessen von Mama, Schokolade, Pudding, keine Ahnung. Nochmal 4
Toast zum Abendbrot, vielleicht noch Cornflakes nachts. Dazu ne Menge
Alkohol.
Wenn ich zurückblicke, wundere ich
mich über gar nichts. Logisch, dass ich so fett war. Aber wie das
ist, in Mamas Haushalt. In jedem Schrank war Essen. Lockend,
verführerisch, immerzu verfügbar. Ich hatte keinerlei Kontrolle.
Weihnachtszeit? Ich konnte ne ganze Packung Lebkuchen essen!
Geburtstag? Dick grillen und danach 3 Stücke Torte.
Und nicht zu vergessen, mein
Lieblingsgetränk, Eistee Zitrone. Natürlich mit Zucker.
Das ist heute einfach unvorstellbar für
mich. U-n-v-o-r-s-t-e-l-l-b-a-r!
Ich hab meine Kalorien auf 1000
reduziert. Das ist für jemanden, meines Gewichts eine gute Zahl. Ich
dürfte um die 2200 essen. Durch den plötzlichen Umschwung, der
genau am 1.1.2012 begann, hab ich natürlich rapide abgenommen.
Von 136,0 auf 101,2 kg.
Sport habe ich keinen gemacht. Wie
auch? Mein Rücken und meine Gelenke waren schon belastet genug.
Kondition = 0. Treppen steigen? Ich hab schon auf der ersten Etage
gekeucht.
Ich hab einfach nur wenig gegessen. Und
viel gesünder. In der ersten Zeit habe ich mir gar nichts mehr
erlaubt. Keine Süßigkeiten, einfach... nichts, außer Knäckebrot,
Salat, Wasser, Kaffee. Oh man. Ich bin jeden Tag gestorben vor Hunger
und Verlangen. Ich hab geweint vor Bauchschmerzen, mich mit so viel
Kaffee und Wasser gefüllt, bis ich nichts mehr spürte. Ich war
verzweifelt. Denn das kannte ich gar nicht. Hunger? Was ist das?
Damals hab ich nicht aus Hunger gegessen, sondern einfach aus Lust
und Gewohnheit. Erst durch die Diät hab ich gelernt, was Hunger
wirklich ist und wie weh er tun kann. Sowohl körperlich als auch
mental.
Mit der Zeit hab ich mich allerdings
einigermaßen zurecht gefunden. Ich hab gelernt, dass ich nicht nur
von Knäckebrot leben muss und das ich mir ab und zu auch mal n
Lebkuchen erlauben darf.
Ich gehe immer noch mit Hunger ins
Bett. Aber ich hab gelernt, damit umzugehen. Und er hilft mir jetzt
sogar bei einschlafen. Ich schlafe einfach vor Erschöpfung ein.
In 11 Monaten hab ich 35 kg abgenommen.
Und der Hunger kontrolliert mich nicht mehr. Ich kann jetzt mit ihm
leben. Ab und zu erleide ich sicherlich auch Rückschläge, so ist
das nicht. Ich sehne mich oft danach, einfach mal was geiles zu
essen. Einfach mal drei, vier Lebkuchen zu essen. Manchmal steh ich
auch nachts auf und mach mir ne Suppe. XD
Heißhungerattacken kommen manchmal und
werfen mich zurück. Aber das ist kein Weltuntergang. Ich kann immer
wieder weitermachen. Und ich denke, das ist das wichtigste. Einfach
nicht aufzugeben, auch wenn man manchmal unglaublich verzweifelt sein
kann.
Ich kann viele Vorteile aufzählen, die
diese 35 Kilo weniger mit sich bringen. Ich kann Treppen hochlaufen,
ohne so sehr außer Atem zu geraten. Ich kann sogar leicht joggen,
ohne gleich n Herzklabaster zu bekommen. Mein Bauch ist kleiner
geworden, ich sehe mehr aus wie eine durchschnittliche Frau. Keiner
wirft mir mehr dumme Sprüche zu. Mein Doppelkinn ist kleiner
geworden, ich muss nicht mehr immer meinen Hals hinter einem Schal
verstecken. Meine Füße tun mir nicht mehr weh, wenn ich spazieren
oder shoppen gehe. Die Innenseiten der Oberschenkel reiben nicht mehr
aneinander, wenn ich gehe. Ich kann meine Füße sehen, wenn ich an
mir runterschaue. Ich bin insgesamt vitaler, hab mehr Energie, weil
mich mein Gewicht nicht so hindert. Ich kann Situps machen, weil da
kein kugelrunder Bauch mehr ist, der mich hindert. Oh ja! Meine Beine
sind dünner geworden und ich kann beim Sitzen jetzt endlich die
Beine übereinander schlagen, ohne das sie einschlafen oder weh tun.
Mein Gesicht ist nicht mehr so rund. Ich kann gerader gehen und
stehen, weil mein Bauch mich nicht mehr nach vorne zieht.
Und das beste daran. Ich hab mehr
Selbstvertrauen. Kaum noch Depressionen. Ich kann mich im Spiegel
ansehen und mich freuen. Ich hab wieder Spass am leben. Und natürlich
bauen mich auch die vielen Komplimente auf, die ich bekomme. Meine
Mutter erzählt stolz ihren Freunden von meinem Erfolg.
Und ich hab mich getraut, Liebe
zuzulassen und eine Beziehung einzugehen. Ich traue mich, Sex zu
haben. Wer hätte das gedacht? Ich bin ein völlig anderer Mensch.
Aber natürlich gibt es auch diverse
Nachteile, die man nicht außer Acht lassen kann. Die Angewohnheit
auf die Kalorien zu achten und sie zu zählen, ist allgegenwärtig.
Ich kann nicht auswärts essen, weil ich Angst habe, keine Kontrolle
über die Menge der Kalorien zu haben. Ich muss alles aufschreiben,
was ich esse, um die Übersicht zu behalten. Ich hasse mich, wenn ich
zusammrechne, dass ich 200 kcal mehr zu mir genommen hab, als ich mir
vorgeschrieben habe.
Ich schaue mich nackt an und sehe die
viele Haut. Alles an mir ist weicher geworden, wackelt umher, sieht
wirklich nicht schön aus. Ich bin oft müde (ich versuch, es auf
meine Pille zu schieben). Seit dem Beginn der Diät ist haben sich
diverse Ticks verschlimmert, wie z.B. mit dem Nagelknipser die
Nagelhaut abzuknipsen bis es manchmal sogar blutet. Ich versuche das
abzustellen und mich davon abzuhalten, aber es klappt nicht mal einen
Tag. Meine Hände brauchen immer etwas zu tun. Meine Rückenschmerzen
sind schlimmer geworden und ich weiß eigentlich nicht, woran das
liegt. Gut, ich hab ne mittelstarke Skoliose. Wahrscheinlich muss ich
dringend zum Arzt und eine Behandlung bekommen. Hm. Oh. Was auch noch
ganz schlimm ist: Das ständige Denken und Träumen über das Essen
selbst. Ich kann selbst mit größtem Hunger an allen Fressbuden
vorbei gehen und stark sein, aber in meinen Gedanken sehe ich mich
von einem Fastfoodladen zum anderen rennen. Ich stelle mir vor, wie
ich mir das Essen tonnenweise reinschaufel, versuche mich an den
Geschmack zu erinnern, von all den Sachen, die ich fast ein Jahr
nicht mehr gegessen oder getrunken habe, wie Pizza, Burger, Torte,
Milkshakes, Eis von der Eisdiele, etc. Wenn ich draußen mit jemandem
bin, der sich was zu essen kauft, muss ich sagen, dass ich keinen
Hunger habe, obwohl ich ihm das Essen am liebsten aus der Hand reißen
würde.
Ich rauche mehr. Und ich mach mir
pausenlos Gedanken darum, wie wo wann ich endlich mit richtigem Sport
anfangen kann und wie ich die Sportklamotten finanzieren könnte. Oh
und ich kann über kaum noch was anderes reden. Egal, worüber ich
mich mit Leuten unterhalte, ich fang irgendwann immer mit dem Thema
Diät an. Oder Kalorien. Oder Verschwörungen der
Lebensmittelindustrie. Und ich schaue mir sehr viel mehr
Kochsendungen an. Speichere mir tausend Rezepte, obwohl ich weiß,
dass ich nie was davon kochen werde. Bescheuert.
Und ich hab keine Ahnung, wohin mich
mein Weg führt. Jetzt, wo mein ungenutztes Fitnessstudio Abo
ausglaufen ist, hab ich doch Lust zu gehen. Ich hab den Drang,
sportlich aktiv zu werden, muss meinen Körper aber langsam dran
gewöhnen. Wenn ich übertreibe bekomme ich Seitenstiche und
ungeheuren Muskelkater. Ich hab jetzt angefangen, täglich eine
Stunde spazieren zu gehen, will Anfang November dann Klamotten und
Schuhe kaufen und mit Walking anfangen. Wenn ich noch zwanzig Kilo
runter hab, will ich mit joggen anfangen. Diese Gedanken werden schon
fanatisch.
Das schlimme ist, dass das Abnehmen
mein größter Halt und mein größterLebenssinn geworden ist. Ich
will Erfolg sehen und spüren. Unbedingt. Liebe und Beziehung kommt
für mich an zweiter Stelle oder wird teilweise abgelehnt, wenn sie
mich hindert. (Was schwere Auswirkungen haben kann, sollte ich mich
noch mehr hineinsteigern).
Alles, was ich weiß, ist; ich will
weiter abnehmen und endlich normal sein. Gut aussehen. Schöne
Anziehsachen tragen. Endlich auch mal ein Lolitakleid anziehen, was
ich bisher an anderen nur bewundern konnte. Ich will fit und
sportlich werden. Ich will aufstehen und morgens erstmal ne Stunde
joggen gehen können. Mich frisch und wohl fühlen. Einfach anders
sein. Ein anderes Leben führen. Eine andere Danie sein.
~ ♪ ♭ ♩♪ ♬ ♫
was du hast wirklich 35kg abgenommen?
AntwortenLöschenwow wirklich respelkt