Mittwoch, 24. Oktober 2012

35 kg Gewichtsverlust, Gedanken

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Ich war fast mein ganzes Leben lang übergewichtig. Fettleibig. Der Lieblingsbegriff meiner Ärzte.
Wie es begann, ist auch jetzt noch, nachdem ich mir tausend Gedanken gemacht habe, schwer zu erklären. Die einzige Erklärung, die ich habe, ist, dass ich meinem gestörten Elternhaus nach einer Flucht gesucht habe. Und ich fand sie im Essen.
Essen ist toll. Leckere Dinge zu essen, macht einen glücklich. Ich fühle mich gut, wenn voll bin.
Weiter als so, habe ich nie gedacht.
Obwohl das Mobbing schon in der Grundschule begann (im Sportunterricht der ersten Klasse, wo meine Mutter mir einen unvorteilhaften engen pinken Sportbody mit Shorts aufgenötigt hat) und sich hinzog, bis noch... ja bis noch ins Erwachsenenalter, hab ich lange gebraucht, um zu verstehen, was ich ändern muss. Ich hatte Angst, etwas zu verlieren, was mir immer Schutz geboten hat.
Und ich sagte immer zu jedem "Ja klar, wenn Dezember 2012 die Welt nicht untergeht, dann fang ich an.." Aber wirklich dran gegelaubt hab ich nie.
Und dann, an Weihnachten 2011, als wir Familienfotos machten und ich mein dickes Mondgesicht mit dem ernormen Doppelkinn gesehen hab und auf dem Höchstgewicht mit 136,0kg war- da hat es endlich Klick gemacht. Ich konnte so nicht mehr leben.
Man denkt, Mobbing ist etwas, was sich nur in der Schule abspielt. Aber mit so einem Gewicht wird man überall gemobbt. Freche Gören und prollige Jugendliche gucken einen angewidert an, verbergen nicht, was sie denken, oder schreien es einem so laut ins Gesicht, dass andere Passanten sich umdrehen. Oh ja. Ich hab vieles erlebt. Es war erniedrigend und hat mich immer weiter in die Depression getrieben.
Ich hab mich gehasst und fühlte mich zu schwach, um etwas daran ändern zu können. Wenn man erst einmal in dieser Spirale aus Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit gefangen ist, dann ist es schwer da raus zu kommen. Zur Hölle, an manchen Tagen konnte ich nicht einmal aus dem Bett kommen, weil ich 0% Motivation hatte.
Ich war ein sehr unglückliches Mädchen, egal, wie viel ich gelacht habe.
Und eines Tages, kurz vor Silvester, sagte ich mir: Jetzt ändere ich was.
Ganz ehrlich... ich dachte nicht, dass ich weit komme. Ich habe viele Diäten ausprobiert. Nach vielen, hatte ich durch Fressattacken und dem allseits bekannten Jojo-Effekt alles wieder drauf, manchmal sogar noch mehr.
Natürlich war ich immer fasziniert von wunderschönen dünnen Mädchen mit Stöckchenbeinen und flachen Körpern, wo man die Rippen sieht, wenn sie sich strecken. Ich wollte immer so sein. Schön. Anmutig. Leicht. Aber ich dachte, ich wäre gefangen. Für immer gefangen in diesem Käfig aus Fett.
(Gut, dass bin ich noch immer, aber dazu später mehr).
Meine Faszination führte mich natürlich zu dem Thema Anorexie und Essstörungen im Allgemeinen. Mich damit zu befassen wurde für mich zu einer kleinen Obsession (und ist sie noch immer). Ich lese und schaue alles darüber, was ich finden kann. Warum? Ein winziger Teil in mir wünscht sich, lieber anorektisch und dünn, wennauch krank, zu sein, als fett. Es gibt einfach nichts schlimmeres, als fett zu sein.
Ich will hier aber klar ausdrücken, dass ich nicht vorhabe, in irgendeine Krankheit zu rutschen. Durch meine Beschäftigung mit diesen Themen (insbesondere Anorexie und Bulimie) bin ich mir auch bewusst darüber, was diese Krankheiten für den Körper bedeuten.
Wie auch immer. Was mich an Autobiographien von magersüchtigen Mädchen fasziniert, ist die Disziplin, die sie an den Tag legen. Das stark sein. Trotz aller Qualen. Ich weiß ganz genau, dass mich das nicht faszinieren sollte. Aber ich, als immer willensschwache Person brauche das als Motivation. Diese Gedanken helfen mir selbst, auch diszipliniert zu sein.
Früher hab ich am Tag 2500 bis 3000 kcal täglich zu mir genommen. Das fing schon an mit 4 Toast (die großen Sandwich Toasts) mit Käse und Mayo, Chips, dann fettiges Mittagessen von Mama, Schokolade, Pudding, keine Ahnung. Nochmal 4 Toast zum Abendbrot, vielleicht noch Cornflakes nachts. Dazu ne Menge Alkohol.
Wenn ich zurückblicke, wundere ich mich über gar nichts. Logisch, dass ich so fett war. Aber wie das ist, in Mamas Haushalt. In jedem Schrank war Essen. Lockend, verführerisch, immerzu verfügbar. Ich hatte keinerlei Kontrolle. Weihnachtszeit? Ich konnte ne ganze Packung Lebkuchen essen! Geburtstag? Dick grillen und danach 3 Stücke Torte.
Und nicht zu vergessen, mein Lieblingsgetränk, Eistee Zitrone. Natürlich mit Zucker.

Das ist heute einfach unvorstellbar für mich. U-n-v-o-r-s-t-e-l-l-b-a-r!
Ich hab meine Kalorien auf 1000 reduziert. Das ist für jemanden, meines Gewichts eine gute Zahl. Ich dürfte um die 2200 essen. Durch den plötzlichen Umschwung, der genau am 1.1.2012 begann, hab ich natürlich rapide abgenommen.
Von 136,0 auf 101,2 kg.
Sport habe ich keinen gemacht. Wie auch? Mein Rücken und meine Gelenke waren schon belastet genug. Kondition = 0. Treppen steigen? Ich hab schon auf der ersten Etage gekeucht.
Ich hab einfach nur wenig gegessen. Und viel gesünder. In der ersten Zeit habe ich mir gar nichts mehr erlaubt. Keine Süßigkeiten, einfach... nichts, außer Knäckebrot, Salat, Wasser, Kaffee. Oh man. Ich bin jeden Tag gestorben vor Hunger und Verlangen. Ich hab geweint vor Bauchschmerzen, mich mit so viel Kaffee und Wasser gefüllt, bis ich nichts mehr spürte. Ich war verzweifelt. Denn das kannte ich gar nicht. Hunger? Was ist das? Damals hab ich nicht aus Hunger gegessen, sondern einfach aus Lust und Gewohnheit. Erst durch die Diät hab ich gelernt, was Hunger wirklich ist und wie weh er tun kann. Sowohl körperlich als auch mental.
Mit der Zeit hab ich mich allerdings einigermaßen zurecht gefunden. Ich hab gelernt, dass ich nicht nur von Knäckebrot leben muss und das ich mir ab und zu auch mal n Lebkuchen erlauben darf.
Ich gehe immer noch mit Hunger ins Bett. Aber ich hab gelernt, damit umzugehen. Und er hilft mir jetzt sogar bei einschlafen. Ich schlafe einfach vor Erschöpfung ein.
In 11 Monaten hab ich 35 kg abgenommen. Und der Hunger kontrolliert mich nicht mehr. Ich kann jetzt mit ihm leben. Ab und zu erleide ich sicherlich auch Rückschläge, so ist das nicht. Ich sehne mich oft danach, einfach mal was geiles zu essen. Einfach mal drei, vier Lebkuchen zu essen. Manchmal steh ich auch nachts auf und mach mir ne Suppe. XD
Heißhungerattacken kommen manchmal und werfen mich zurück. Aber das ist kein Weltuntergang. Ich kann immer wieder weitermachen. Und ich denke, das ist das wichtigste. Einfach nicht aufzugeben, auch wenn man manchmal unglaublich verzweifelt sein kann.

Ich kann viele Vorteile aufzählen, die diese 35 Kilo weniger mit sich bringen. Ich kann Treppen hochlaufen, ohne so sehr außer Atem zu geraten. Ich kann sogar leicht joggen, ohne gleich n Herzklabaster zu bekommen. Mein Bauch ist kleiner geworden, ich sehe mehr aus wie eine durchschnittliche Frau. Keiner wirft mir mehr dumme Sprüche zu. Mein Doppelkinn ist kleiner geworden, ich muss nicht mehr immer meinen Hals hinter einem Schal verstecken. Meine Füße tun mir nicht mehr weh, wenn ich spazieren oder shoppen gehe. Die Innenseiten der Oberschenkel reiben nicht mehr aneinander, wenn ich gehe. Ich kann meine Füße sehen, wenn ich an mir runterschaue. Ich bin insgesamt vitaler, hab mehr Energie, weil mich mein Gewicht nicht so hindert. Ich kann Situps machen, weil da kein kugelrunder Bauch mehr ist, der mich hindert. Oh ja! Meine Beine sind dünner geworden und ich kann beim Sitzen jetzt endlich die Beine übereinander schlagen, ohne das sie einschlafen oder weh tun. Mein Gesicht ist nicht mehr so rund. Ich kann gerader gehen und stehen, weil mein Bauch mich nicht mehr nach vorne zieht.
Und das beste daran. Ich hab mehr Selbstvertrauen. Kaum noch Depressionen. Ich kann mich im Spiegel ansehen und mich freuen. Ich hab wieder Spass am leben. Und natürlich bauen mich auch die vielen Komplimente auf, die ich bekomme. Meine Mutter erzählt stolz ihren Freunden von meinem Erfolg.
Und ich hab mich getraut, Liebe zuzulassen und eine Beziehung einzugehen. Ich traue mich, Sex zu haben. Wer hätte das gedacht? Ich bin ein völlig anderer Mensch.

Aber natürlich gibt es auch diverse Nachteile, die man nicht außer Acht lassen kann. Die Angewohnheit auf die Kalorien zu achten und sie zu zählen, ist allgegenwärtig. Ich kann nicht auswärts essen, weil ich Angst habe, keine Kontrolle über die Menge der Kalorien zu haben. Ich muss alles aufschreiben, was ich esse, um die Übersicht zu behalten. Ich hasse mich, wenn ich zusammrechne, dass ich 200 kcal mehr zu mir genommen hab, als ich mir vorgeschrieben habe.
Ich schaue mich nackt an und sehe die viele Haut. Alles an mir ist weicher geworden, wackelt umher, sieht wirklich nicht schön aus. Ich bin oft müde (ich versuch, es auf meine Pille zu schieben). Seit dem Beginn der Diät ist haben sich diverse Ticks verschlimmert, wie z.B. mit dem Nagelknipser die Nagelhaut abzuknipsen bis es manchmal sogar blutet. Ich versuche das abzustellen und mich davon abzuhalten, aber es klappt nicht mal einen Tag. Meine Hände brauchen immer etwas zu tun. Meine Rückenschmerzen sind schlimmer geworden und ich weiß eigentlich nicht, woran das liegt. Gut, ich hab ne mittelstarke Skoliose. Wahrscheinlich muss ich dringend zum Arzt und eine Behandlung bekommen. Hm. Oh. Was auch noch ganz schlimm ist: Das ständige Denken und Träumen über das Essen selbst. Ich kann selbst mit größtem Hunger an allen Fressbuden vorbei gehen und stark sein, aber in meinen Gedanken sehe ich mich von einem Fastfoodladen zum anderen rennen. Ich stelle mir vor, wie ich mir das Essen tonnenweise reinschaufel, versuche mich an den Geschmack zu erinnern, von all den Sachen, die ich fast ein Jahr nicht mehr gegessen oder getrunken habe, wie Pizza, Burger, Torte, Milkshakes, Eis von der Eisdiele, etc. Wenn ich draußen mit jemandem bin, der sich was zu essen kauft, muss ich sagen, dass ich keinen Hunger habe, obwohl ich ihm das Essen am liebsten aus der Hand reißen würde.
Ich rauche mehr. Und ich mach mir pausenlos Gedanken darum, wie wo wann ich endlich mit richtigem Sport anfangen kann und wie ich die Sportklamotten finanzieren könnte. Oh und ich kann über kaum noch was anderes reden. Egal, worüber ich mich mit Leuten unterhalte, ich fang irgendwann immer mit dem Thema Diät an. Oder Kalorien. Oder Verschwörungen der Lebensmittelindustrie. Und ich schaue mir sehr viel mehr Kochsendungen an. Speichere mir tausend Rezepte, obwohl ich weiß, dass ich nie was davon kochen werde. Bescheuert.

Und ich hab keine Ahnung, wohin mich mein Weg führt. Jetzt, wo mein ungenutztes Fitnessstudio Abo ausglaufen ist, hab ich doch Lust zu gehen. Ich hab den Drang, sportlich aktiv zu werden, muss meinen Körper aber langsam dran gewöhnen. Wenn ich übertreibe bekomme ich Seitenstiche und ungeheuren Muskelkater. Ich hab jetzt angefangen, täglich eine Stunde spazieren zu gehen, will Anfang November dann Klamotten und Schuhe kaufen und mit Walking anfangen. Wenn ich noch zwanzig Kilo runter hab, will ich mit joggen anfangen. Diese Gedanken werden schon fanatisch.
Das schlimme ist, dass das Abnehmen mein größter Halt und mein größterLebenssinn geworden ist. Ich will Erfolg sehen und spüren. Unbedingt. Liebe und Beziehung kommt für mich an zweiter Stelle oder wird teilweise abgelehnt, wenn sie mich hindert. (Was schwere Auswirkungen haben kann, sollte ich mich noch mehr hineinsteigern).
Alles, was ich weiß, ist; ich will weiter abnehmen und endlich normal sein. Gut aussehen. Schöne Anziehsachen tragen. Endlich auch mal ein Lolitakleid anziehen, was ich bisher an anderen nur bewundern konnte. Ich will fit und sportlich werden. Ich will aufstehen und morgens erstmal ne Stunde joggen gehen können. Mich frisch und wohl fühlen. Einfach anders sein. Ein anderes Leben führen. Eine andere Danie sein.



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